Das morphogenetische (wissende) Feld bei Familienaufstellungen
Wie kann es bei Familienaufstellungen geschehen, dass die Stellvertreter/innen die Gefühle von Menschen empfinden und ausdrücken, die sie nicht kennen? (A)
Sind das überhaupt die Empfindungen der Originale oder sind es Phantastereien der Stellvertreter/innen? (B)
Das sind komplexe Fragen und ich fürchte, dass die Beantwortung einerseits auf Erfahrungen fußt, die jede/r für sich erleben muss und andererseits die Bereitschaft erfordert, die Erklärungen, die wir geben können, anzunehmen. Letztlich bewegen wir uns in einem Feld, das über die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten hinaus geht, was aber nicht heißt, dass es auf einer zu glaubenden Beliebigkeit basiert. Es gibt Beobachtungen und Regelmäßigkeiten, die den Schluss nahe legen, dass es sich um Ordnungen und Gesetzmäßigkeiten handelt. Bert Hellinger z.B. hat sich immer scharf von esoterischen Beliebigkeiten abgegrenzt.
zu A):
wie lässt es sich erklären, dass Stellvertreter/innen die Empfindungen und Gefühle von anderen Menschen wahrnehmen können, mit denen sie nichts zu tun haben oder die schon verstorben sind?
Bert Hellinger operiert in seiner Erklärung mit dem Begriff des Morphischen Feldes, wie es von dem englischen Biologen Rupert Sheldrake geprägt worden ist. Hellinger nennt es auch das Morphogenetische Feld oder das Wissende Feld.
Sheldrake hatte sich u.a. gefragt, wie Zellen mit einem definierten gleichen genetischen Code „wissen“, dass sie sich zu einer Zelle des Organs Leber entwickeln sollen oder des Herzens oder der Lunge. „Woher „wissen“ diese Zellen das?“, fragte Sheldrake und fand die Antwort darin, dass er meinte, es müsse ein morphisches Feld geben, das dieses Wissen überträgt. Die Existenz eines solchen morphischen Feldes leitete er aus zahllosen Versuchen mit Haustieren ab.
Er hatte aufgegriffen und untersucht, was viele Besitzer von Haustieren kennen: ihre Haustiere (Hunde, Katzen, Pferde …) wissen z.B., - vorausgesetzt sie stehen in einer besonderen Beziehung zu ihrem Halter -, wann diese nach Hause kommen. In einem Fall hat Sheldrake z.B. einen Hund per Video beobachtet, der sich immer zur Gartenpforte bewegte, sobald sein Frauchen sich im Büro auf den Weg nach Hause aufmachte. Er konnte dabei Faktoren wie Gewöhnung (immer die gleiche Zeit), Gehör (Motorgeräusch), räumliche Nähe usw. ausschließen, indem er Zeiten, Orte und Verkehrsmittel variierte. Immer, wenn die Halterin beschloss, sich auf den Weg nach Hause zu machen (und sei es auch von einem entfernten Ort aus) zeigte der Hund durch sein Verhalten, dass er „wusste“, dass sich sein Frauchen jetzt auf den Heimweg zu ihm machte. Sheldrake schlußfolgerte, dass es ein Feld geben müsse, das diese Informationen transportiert.
Kolportiert wird auch der Bericht von einer Affenart, die auf einer Insel lebt und bei der ein junges Mitglied beginnt, eine ausgegrabene Kartoffel erst vom Sand zu säubern, bevor es sie verzehrt, was sich bald auf die ganze Gruppe überträgt. Hunderte Kilometer entfernt beginnt eine andere Gruppe dergleichen Affenart, ebenfalls damit, die Kartoffeln zu säubern. Zufall? Oder Übertragung durch ein Morphisches Feld?
Diese letzte Beispiel ist meines Wissens nicht wirklich für Rupert Sheldrake belegt, ich habe es aber öfter in diesem Zusammenhang gehört.
(Sollte ich hier in meiner Darstellung von Sheldrake’s Untersuchungen etwas nicht ganz korrekt wiedergegeben haben, bitte ich um Entschuldigung. Ich schreibe aus der Erinnerung – ohne neu recherchiert zu haben. Man kann es ja in seinen Büchern und Schriften genau nachlesen. Mir kommt es auf den wesentlichen Sinn an, und der wird –glaube ich- hier klar.)
Hellinger reklamiert dieses morphische, morphogenetische oder wissende Feld ebenfalls als Erklärung für die Phänomene, die sich bei den Familienaufstellungen zeigen.
Ohne Zweifel passiert es in den Aufstellungen immer wieder, dass Stellvertreter/innen etwas spüren, was sie gar nicht wissen können.
Da fragt z.B. ein Stellvertreter, ob der Großvater, für den er aufgestellt worden ist, im Krieg eine Verletzung am Bein gehabt habe, weil er sein Bein nicht spüre. In der Tat bestätigt der Klient, dass sein Großvater eine Schußverletzung im Bein gehabt habe.
Eine Vorfahrin wirkt „irgendwie verrückt“ und der Leiter fragt die Klientin, ob sie etwas davon wisse und dazu sagen könne. Die Ahnin sei in einer psychiatrischen Heilanstalt gewesen, antwortet die Klientin.
Eine Klientin gibt an, dass sie keine Kommunikation mit ihren vielen Geschwistern habe und darunter sehr leide. Die Geschwister werden aufgestellt und der Leiter stellt fest, dass da doch einer der Geschwister sehr dicht an der Stellvertreterin der Klientin steht. „Was ist denn mit dem“ fragt er, „hast Du auch zu ihm keine Bindung? So sieht es nicht aus!“ „Ach, das ist mein jüngster Bruder“, antwortet die Klientin, „ für den bin ich wie eine Mutter.“
Es gibt zahllose Beispiele aus den Aufstellungen, die belegen, dass die Stellvertreter/innen etwas von den Originalen, für die sie stehen spüren, was sie rational nicht wissen können.
Ein/e Stellvertreter/in gibt mit seiner/ihrer Einwilligung, sich aufstellen zu lassen, nach meiner Ansicht zugleich die Erlaubnis, dass in ihr/ihm die Gefühle oder Empfindungen anderer Seelen zum Ausdruck gebracht werden dürfen. Er/sie agiert quasi wie ein Medium, wird durchlässig und transportiert ein Wissen, das bei anderen Seelen (oder eben im Wissenden, Morphogenetischen Feld) vorhanden und gespeichert ist.
Dass dies so ist, wird immer gewisser, je häufiger man es selbst bei zahllosen Aufstellungen erleben darf. Beweisen (im strengen naturwissenschaftlichen Sinn) lässt sich das nicht. Erleben kann man es aber schon. Und dieses Erleben ist es, was die Aufstellungen so wertvoll macht.
zu B)
Kann ich, wenn das so stimmt, nicht die Gefühle verfälschen oder in meinem Sinne interpretieren? Ist es dann noch echt?
Grundsätzlich ja! Ich kann Gefühle verfälschen. Ich glaube aber, dass das in Aufstellungen so gut wie nicht vorkommt – und wenn, dass es schnell aufgedeckt wird. Eine Manipulation würde der/die Leiter/in normalerweise schnell merken und wenn nicht, würde die Aufstellung stocken und sich nicht mehr entwickeln.
In einer Aufstellung besteht dann immer die Möglichkeit, Konstellationen zu verändern und sogenannte "Sätze der Kraft" auszuprobieren, wobei die Gesamtheit der Stellvertreter/innen aufzeigen, ob man der Wahrheit nahe ist oder nicht. Es gibt also für solche Fälle ein Korrektiv.
In der Praxis habe ich bei hunderten von Aufstellungen nur zwei Mal bei anderen Leitern erlebt, dass eine Stellvertreterin ausgetauscht wurde, die eine, weil sie mit einer nicht-integren Absicht in die Aufstellung gekommen war und die andere, weil sie zu sehr im Kopf (Verstand) war.
Bei meinen ersten Aufstellungen war ich unsicher, ob das, was ich da spürte, von mir kam oder tatsächlich dem Original zuzuordnen war. Diese anfängliche Unsicherheit ist mittlerweile einer tiefen Gewißheit und Zuversicht gewichen.
Für mich gilt heute: jede/r Stellvertreter/in legt mit der Einwilligung zur Stellvertretung nicht seine/ihre Individualität ab. Diese Individualität drückt sich u.a. in der Art und Weise aus, wie wir eine Empfindung zum Ausdruck bringen. Der eine lässt nur den Kopf hängen, die andere bricht in Schluchzen aus. Das ist individuell verschieden. Auch können wir bei unterschiedlichen Aufstellungen spüren, wenn wir als Stellvertreter/in teilnehmen, dass sie uns unterschiedlich stark tangieren. Wir sind mal mehr, mal weniger mit dem Thema und der Dynamik einer Aufstellung verbunden und spüren dies.
Verfälschen wir dann möglicherweise etwas? Ich glaube nicht!
Eine Dynamik wird für das Familiensystem des Klienten offenkundig – unabhängig davon, ob sie uns als Stellvertreter mitbetrifft oder nicht.
Es kommt sogar ab und zu vor, dass aus der Gruppe der Anwesenden genau die als Stellvertreter/in gewählt werden, die eine ähnliche Konstellation aufweisen.
Da hat z.B. eine Klientin das Thema, dass ihre jüngere Schwester sich immer bei ihr einmischt und ihr den Platz als Ältere streitig macht. Die Klientin wählt aus einer Gruppe von ca 35 Anwesenden, die sie nicht kennt, genau zwei Schwestern als Stellvertreterinnen aus, die in exakt dieser Konstellation zueinander stehen.
Oder: eine Klientin wählt für ihren Großvater, der Missionar in Indonesien war, einen Stellvertreter aus. Es stellt sich heraus, dass dieser Stellvertreter in seiner Familie ebenfalls einen Großvater hat, der Missionar in Indonesien gewesen ist.
Solche Zusammentreffen sind meiner Meinung nach nicht zufällig, sondern wir können spüren, dass das Morphogenetische Feld schon zu Beginn einer Aufstellung aktiv ist.
Wir verlassen uns in der Aufstellung darauf, dass wir geführt werden.
Mit der Zeit habe ich gelernt, dass ich mich in einer Aufstellung zu 100% auf meine Gefühle und Eingebungen verlassen kann. Als Leiter und als Stellvertreter.
Es kann vorkommen, dass man aufgestellt wird und nichts spürt. Das Original spürt dann auch nichts (z.B. bei Soldaten, sie im Krieg auf Befehl Menschen erschiessen müssen).
Oder man spürt noch nichts, weil der Fokus der Aufstellung im Moment noch ganz woanders ist.
Wichtig in der Stellvertretung ist es, ganz den eigenen Gefühlen und Eingebungen zu folgen und sich keinen Kopf zu zerbrechen, ob das Gefühl vielleicht von einem selbst ist, und ob man etwas sagen darf oder nicht.
Die Leiter und die Gruppe sind im Zweifelsfall das Korrektiv.
Die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen lautet nach unseren Erfahrungen also:
es gibt ein Wissendes, Morphogenetisches Feld, das bei Familienaufstellungen aktiviert wird und die Akteure begleitet und zu einer Lösung hinleitet. Die Wahrnehmungen und Äußerungen der Stellvertreter können als wahrhaftig angesehen werden und werden durch den Prozess der Aufstellung von allen Akteuren überprüft. Bewusste oder unbewusste Phantastereien werden damit ausgeschlossen. Wenn eine Lösung gefunden wird, spüren es alle. Alle haben Anteil daran und haben daran mitgewirkt.
Man ist aber nicht davor geschützt, das, was sich gezeigt hat, falsch zu interpretieren.